Am Scheideweg: Auch gute Pflege ist eine Wahl-Entscheidung
Soziale Ungerechtigkeit, der demografische Wandel und auch die wachsende Krise im Gesundheits- und Pflegesektor drohen die Gesellschaft zu spalten. Dass auch vor diesem Hintergrund der anstehenden Bundestagswahl eine besondere Bedeutung zukommt, scheint klar. „Unsere Werte Solidarität, Gerechtigkeit und Menschlichkeit stehen bedenklich auf der Kippe“, sagt Thore Wintermann (Vorstand Verband und Politik der AWO Weser-Ems), „und eine falsche Wahl-Entscheidung könnte fatale gesellschaftliche Folgen haben“.
„Wir stehen als offene und tolerante Wohlfahrtsgesellschaft für all das, was einzelne extreme Parteien nicht wollen“, sagt Wintermann – „daher kommt bei ihnen der immer wieder thematisierte Rückbau des Sozialstaates nicht von ungefähr. Doch wenn tragende Säulen des Sozialsystems wie Wohlfahrtsverbände und insbesondere Pflegeeinrichtungen wegfielen, würde das den Anfang eines gesellschaftlichen Kollapses bedeuten.“
Verbände wie die AWO sind Arbeitgeber für Millionen von Menschen, aber sorgen zugleich über eine Vielzahl von Angeboten – von der Kinderbetreuung über psychosoziale Unterstützung, als Integrationshilfe und mit zahllosen zusätzlichen Betreuungs- und Hilfsoptionen – für den sozialen Zusammenhalt in der Gesellschaft. Dies schließt die umfangreiche Versorgung und Betreuung von Pflegebedürftigen ein. „Fiele diese Hilfe mangels Finanzierung und politischer Akzeptanz weg, würden unzählige Familien vor unlösbaren Aufgaben stehen: Die meisten Menschen sind selbst berufstätig und können die Pflege ihrer Angehörigen nicht übernehmen. Sollten sie es müssen, bedeutete dies einen massiven Einbruch der Erwerbstätigkeit, was wiederum die Wirtschaft weiter ins Trudeln bringen würde“, so Wintermann. Und: „In der Folge würden Krankenhäusern von Patientinnen und Patienten, die eigentlich keine akute Versorgung – dafür aber Pflege und Betreuung – benötigen, überrannt. Unterm Strich könnten sich nur noch Wohlhabende private Pflegekräfte leisten, alle anderen wären auf sich allein gestellt. Schwache, Hilfebedürftige und ärmere Menschen blieben damit sprichwörtlich auf der Strecke. Vielleicht ist diese Bundestagswahl eine der letzten Chancen, die wir haben, um den Verlauf aufzuhalten oder gar umzukehren.“
Thore Wintermann fordert daher unter dem Signet des AWO-Herzens unter anderem die vollständige Übernahme pflegebedingter Kosten von der Pflegekasse, eine solidarische Entlastung von Pflegebedürftigen und deren pflegenden Angehörigen – beispielsweise durch eine Ausweitung der Familienpflegezeit oder eines Familienpflegegeldes analog zum Elterngeld. „Wir stehen vor riesigen Herausforderungen, haben die bisherigen aber längst noch nicht erfolgreich gemeistert“, sagt er, „wir brauchen daher einen starken Sozialstaat, der allen Menschen ein Leben in Würde und Sicherheit ermöglicht. Pflege muss bezahlbar und in Würde möglich sein. Sonst droht unserer Gesellschaft der Kollaps“.