Doppelspitze feiert 50-Jähriges der Burgbergschule
„Burgberg, ich finde dich schön, Burgberg, Burgbergschule ich will nie von dir gehen. Die Arbeiterwohlfahrt, schön, dass es sie gibt – ohne sie gäbe es nicht dieses Lied. Hier wird nicht nur gelernt, sondern auch gelacht, die Burgbergschule hat mich bislang weit gebracht“, heißt es in der sogenannten Burgberghymne. Die ist zwar nicht ganz offiziell, aber eben doch ein Teil der hiesigen AWO Förderschule mit den Schwerpunkten Sprache und Lernen. Am Freitag (12. September) wurde sie bei einer Feierlichkeit zum 50-jährigen Bestehen zum Besten gegeben. Und beinhaltet so viel Wahres ...
Nein, steife Feierlichkeiten – so sehr der Anlass diese auch rechtfertigt – sind so gar nicht das Ding von Beate Jürgens und Anke Jämmrich. „Wir arbeiten mit Kindern, sind Lehrerinnen alter Schule“, sagen die beiden Einrichtungsleitungen fast unisono, „dennoch muss die Gesellschaft wissen, dass es uns gibt, was wir bieten und weshalb diese Schule so wichtig ist“. Daher drücken sie noch mal ein Auge zu und den Gästen an diesem Tag lächelnd ein Gläschen alkoholfreien Sekt in die Hand.
Seit 33 Jahren sind sie nun schon ein Team, haben gemeinsam vorher an anderen Schulen gelehrt, auch eine öffentliche Schule kommissarisch geleitet. „Wir haben uns nie, na, wenig gestritten in all der Zeit – obwohl wir so unterschiedlich sind“, sagt Jürgens. 2017 übernahmen sie dann im Doppelpack die Leitung der Burgbergschule in Bad Salzdetfurth. Und das überaus erfolgreich, wenn man auf die Leidensgeschichten und die sich anschließenden Entwicklungen ihrer jungen Schützlinge schaut. Die werden zwar nicht allein in der Burgbergschule geschrieben – schließlich ist der Besuch ihrer Einrichtung nur nach vorangegangener Aufnahme im AWO Sprachheilzentrum möglich –, hier aber doch mit reichlich Kapiteln bestückt.
„Kinder, die zu uns kommen, sind in besonders schwerem Maße von Sprachentwicklungsstörungen betroffen“, sagt Anke Jämmrich, „aber: Wenn sie merken, dass es auch anderen Kindern so ergeht, wenn sie sich dann trauen zu sprechen und Freude daran haben, ist es ein großer Ansporn für unsere Arbeit.“ Und Beate Jürgens ergänzt: „Wir bieten den Kindern hier einen sicheren Raum zur angst- und druckfreien Entwicklung, holen die Kinder dort ab, wo sie sonst zurückgelassen werden.“ Das alles ist echte Teilhabe.
Am Freitagmittag zeigten die Kinder selbst, weshalb sie nicht nur gern zur Schule kommen, sondern neben sprachlichen Fähigkeiten auch jede Menge Selbstvertrauen gesammelt haben. Vor Publikum – allein das ist schon ein enormer Erfolg – trugen beispielsweise Arne und Dominic die Leitsätze der AWO vor, die auch ihnen all das hier ermöglicht haben. Mehr noch: Gemeinsam sangen nahezu alle dann mehrere Lieder, darunter eben auch die Burgberghymne. Von den Festgästen gab’s für so viel Mut und Können eine Minute stehenden Beifall, strahlende Gesichter von der anderen Seite.
Für Jämmrich und Jürgens ist all das nicht nur Zeichen der Wertschätzung und des Vertrauens, der Wegweiser für erfolgreiche Inklusion und Teilhabe, sondern eben auch ein Fingerzeig in die Gesellschaft.
„Wenn die Kinder von ihren Wochenenden daheim erzählen, dann haben sie dort vor allem ferngesehen oder mit dem Tablet gespielt“, so Jürgens, „hier haben sie rund um die Uhr Beschäftigung, erleben ganz viel gemeinsam und lernen zudem, dass man mit Tablets auch andere Sachen machen kann als nur Minecraft zu zocken.“ Da sind Gewaltpräventionsprojekte, da ist der regelmäßige Besuch von außerschulischen Orten. Da gibt es klassische Tafeln und digitale Smartboards. Da ist Musik, da ist Rhythmus, da ist mit Frieda sogar eine Schulhündin, die allein durch ihre Anwesenheit für immense Beruhigung und Vertrauen sorgt. „Und mit ihr sprechen dann sogar jene Kinder, die sich den Austausch mit anderen Menschen noch nicht zutrauen.“ Kurzum: Was die Kinder hier in den durchschnittlich eineinhalb Jahren für sich mitnehmen, hilft nicht nur auf dem klassischen Schulweg, sondern im wahrsten Sinne im und fürs Leben weiter. Das gilt oftmals auch für deren Eltern, denn sie haben die Leidensgeschichte der Kinder natürlich miterlebt, konnten aber nicht hilfreich einwirken. Entsprechend groß sind der eigene Leidensdruck und auch die Hemmungen, Sprachheilzentrum und Schule aufzusuchen.
Für Jämmrich (62) und Jürgens (63) geht’s nun langsam Richtung Ruhestand – mit einem riesigen Schwung an gemeinsamen Erfahrungswerten aus eben 33 Jahren echtem Teamwork, aber eben auch mit einer Fülle an Werten und Input, die sie der Schule hinterlassen. So beispielsweise die neue Grundorganisation, mitgebracht aus dem öffentlichen Schulleben, das Präventionsprogramm, aber auch die veränderten innerbetrieblichen Strukturen bei Konferenzen und Dienstbesprechungen. Dass daneben seit Jahren ein „heißer Draht“ zu den angeschlossenen Einrichtungen existiert, versteht sich von selbst. „Es ist unglaublich erleichternd und hilfreich, dass wir uns in Krisensituationen immer kurz absprechen können“, so Jämmrich. Für die Fachleute bedeutet das ein Höchstmaß an Sicherheit und Gemeinschaftswirken, für die Kinder selbst den Rundum-Rückhalt. Wenn sie dann mit neuer Kraft und Selbstvertrauen die Schule wieder verlassen können, ist für alle Beteiligten viel erreicht, gleichsam Platz für die nächsten Kinder mit Sprachentwicklungsstörungen. Oder um noch einmal die Burgberghymne von Lehrer André Luek Philipp zu zitieren: „Raumschiff, Sterne, Roboter – was für eine Zeit! Ob früher, heute und was noch kommt, die Schule ist bereit!“